Wer sich mit BDSM-Themen beschäftigt, der stößt im Internet immer wieder auf den Drachenmann. Hinter dem Drachenmann steht Matthias, der zusammen mit dem Charon Verlag unter anderem das Schlagzeilen Magazin herausbringt. Dazu steht er auch hinter bondageproject.com und weiteren Seiten. Das hat ihn so interessant für uns gemacht, dass wir ihn zu einem Interview rund um seinen Werdegang und BDSM im Allgemeinen eingeladen haben.

Matthias, wie bist du ursprünglich in die Welt von BDSM und speziell Bondage gekommen?
Eigentlich wusste ich schon sehr früh, dass ich Lust aufs Fesseln hatte. Es war nur sehr schwierig jemanden zu finden, die sich fesseln lassen wollte. Durch einen Zufall bin ich über die ersten 6 Ausgaben unseres Magazins Schlagzeilen gestolpert. Bei der Lektüre stellte ich fest, dass ich wohl ein Sadomasochist bin.
Ich schrieb einen Leserbrief und bot mich als Mitarbeiter der Redaktion an (ich hatte zu der Zeit schon 2 Bücher bei rororo veröffentlicht: "Käufliche Träume" und "Die ungleichen Brüder"). Ich durfte dann mitmachen. Das Magazin war zu der Zeit noch ein Feierabend-Projekt, aber damit war ich plötzlich von anderen SM-Leuten umgeben.
Was war der Moment, an dem du gemerkt hast: "Das ist mehr als nur ein Hobby – das ist meine Leidenschaft"?
Ein Hobby war es nie, es war etwas, das nach meinem Coming-out als SMer einfach ein wichtiger Teil meines Lebens wurde und nicht mehr nur in der Fantasie existierte.
Wenn du dich in drei Worten beschreiben müsstest – welche wären das?
Lach – naturveranlagter Seil-Sadist
Erzähl uns ein bisschen über das Schlagzeilen-Magazin – was erwartet Leser:innen dort?
Das Magazin gibt es seit November 1988, ich bin seit Mitte 2000 dabei. Inhaltlich sind wir inzwischen professionell geworden, aber die Hauptbestanteile sind unsere Schwerpunkte zu den unterschiedlichsten Themen wie etwas "SM und Liebe", "Tabus - Trigger oder Grenzbereich", "Einsamkeit", "Leben wie in der Geschichte der O", "SM und Toxische Beziehungen" oder "Selbstbilder".
Dann gibt es natürlich einen Haufen Geschichten mit Bildern (alles FSK 16 – leider), redaktionelle Texte, ein regelmäßiges Forum, Comicseiten, das KunstWerk in dem wir Künstler*innen vorstellen, die SM-Gruppen und Terminliste, Rezensionen neuer Bücher zum Thema und natürlich Kontaktanzeigen.
Wie kam es überhaupt zur Idee, ein BDSM-Magazin zu gründen?
Naja, es gab ja Domina-Führer und Slave-Sex Heftchen (die meist unter dem Ladentisch), alles langweilig und eher gruselig. Aus einer SM-Gruppe heraus entstand die Idee, etwas Eigenes zu machen, dass anders ist, als der kommerzielle Kram.
Gibt es Themen, über die du besonders gerne schreibst oder berichtest?
In der Szene gibt es immer wieder Diskussionen darüber, was ein richtiger SMer ist. Das ist meiner Meinung nach Schwachsinn, weil jede*r sein eigenes BDSM lebt. Ich liebe die alte Regel: Your Kink is not my Kink, but it is okay.
Wie reagiert dein Umfeld oder die Community auf das Magazin – bekommst du viel Feedback?
Naja, in den 90er-Jahren als wir über 7000 Hefte pro Ausgabe verkauften, gab es viel Feedback und auch mehr Leserbriefe. Inzwischen ist - wie überall im Printbereich - unsere Auflage erheblich geschrumpft. Mein Umfeld freut sich jedenfalls immer, wenn sie von mir ein Probeexemplar geschenkt bekommen.
Du bietest auch Bondage-Workshops an – wie laufen die ab?
Ja, ich biete seit bald 30 Jahren Abendworkshops als auch seit 20 Jahren Wochenend-Intensiv-Workshops mit meiner Partnerin Ropecat an. Es gibt immer einen Theorie-Teil und dann je nach Kurslänge zeigen wir verschiedene Möglichkeiten jemanden zu fesseln, bei den Intensiv-Workshops können die Leute auch Hängebondages ausprobieren.

Was sind häufige Missverständnisse, die Anfänger*innen über Bondage oder BDSM haben?
Naja, im öffentlichen Bild ist ja BDSM eher hauen und fesseln. Dass es um viel mehr gehen kann, müssen Anfänger erst rauskriegen. Und das ganze funktioniert mit einer anderen Person nur, wenn es eine informierte Einwilligung gibt (wenn das Gegenüber weiß, was daneben gehen kann), das Ganze möglichst sicher abläuft und mit klarem Verstand, als damit auch kein Alkohol und keine Drogen bei der Session.
Was sollte jemand wissen, bevor er oder sie das erste Mal an einem Workshop teilnimmt?
Unsere Workshops sind so aufgebaut, dass sie auch für Leute ohne Vorwissen funktionieren. Bondage-Workshops funktionieren am besten, wenn Paare daran teilnehmen. Muss ja nicht immer der Partner/die Partnerin sein, auch der beste Kumpel oder die beste Freundin geht.
Gibt es einen "Fehler", den du immer wieder bei Neulingen siehst – und wie kann man ihn vermeiden?
Naja, Neulinge haben oft wenig Ahnung von Anatomie oder sie machen Sachen, etwas Atemreduktion oder Würgespiele, ohne wirklich zu wissen, was sie tun und welchen Folgen das haben könnte
Was fasziniert dich persönlich am meisten an Bondage – eher die Ästhetik, die Technik oder die Dynamik zwischen den Menschen?
Für mich ist Bondage ein sexuelles Spiel, dass von dem gemeinsamen Kontakt und der Verbindung der Leute lebt. Deswegen ist es für mich am schönsten, wenn ich mit jemandem, die ich gut kenne, zusammen fesseln. Da sieht man die Dynamik, die wir haben, so wie mit meiner Partnerin Ropecat, mit der ich 25 Jahre auf den Bühnen dieser Welt gestanden habe.
Technik ist wichtig, wie der Führerschein, aber wenn man zu Zweit im Auto sitzt, sollte man mehr machen, als nur Zigaretten holen. Und natürlich ist Ästhetik wunderbar, aber manchmal spielt das auch eine Nebenrolle, es sei denn ich mache Bondage-Fotografie (die ich seit 25 Jahren mache), denn da will ich, dass die Modelle schön aussehen und dass man sieht, dass sie Spaß dabei haben.
Wie wichtig findest du Aufklärung in der BDSM-Szene?
Aus irgendwelchen Gründen glauben viele Leute, dass man alles Mögliche mit dem gesunden Menschenverstand machen kann. Dem ist aber nicht so. Wenn man neue Techniken ausprobieren will, sollte man sich vorher informieren und sich bestimmte Kniffe zeigen lassen.
Da bieten sich SM-Gruppen und -Stammtische an und natürlich Kurse besuchen, wie sie überall in Deutschland und auch auf BDSM-Messen angeboten werden
Welche Mythen möchtest du am liebsten ein für alle Mal aus der Welt schaffen?
Dass es ein schwarzes Buch gibt, das einem sagt, wie richtiges BDSM geht. Und all den Unsinn von wegen eine echte Sklavin muss dies und das tun, ein echter Diener jenes oder echte Dominante haben immer in ihrer Rolle zu bleiben.
Gibt es Ressourcen, Bücher oder Communities, die du Neulingen empfehlen würdest?
Naja, es gibt natürlich die Standard-Werke von mir: "Das SM-Handbuch", "Das Bondage-Handbuch" und "Japan Bondage". Da steckt das Wissen von über 30 Jahren Erfahrung drin.
Natürlich gibt es auch noch ne Menge anderer Ressourcen.
Wie hat sich die BDSM-Community in den letzten Jahren verändert?
Naja, früher war es alles nicht ganz so öffentlich und das führte dazu, dass Leute sich freuten, anderen zu begegnen, die ähnlich drauf sind. Heute hat sich das alles ein bisschen erweitert in die Richtung Kinky. Da ist nicht immer klar, ob das eher BDSM, Fetisch oder was auch immer ist.
Wird das Thema deiner Meinung nach gesellschaftlich offener behandelt – oder gibt es noch viel Tabu?
SM ist ja immer wieder Thema in den Medien gewesen. Meine Frau, meine Partnerin und ich haben in einigen Sendungen mitgewirkt und auch auf Veranstaltungen zu Thema gesprochen. Meistens erfahren wir keine Ablehnung, wahrscheinlich, weil wir so offen mit dem Thema umgehen und klarstellen, dass es nichts mit realer Gewalt zu tun hat.
SM setzt eben immer geglückte Kommunikation voraus und deswegen gibt es ja auch Codeworte, die zum sofortigen Abbruch einer Session führen. Das finden auch normale Leute gut.
Wie siehst du die Rolle von Social Media in der Szene – eher Chance oder Risiko?
Social Media ist ja über die Jahre immer BDSM-feindlicher geworden. Das heißt, vieles geht nicht mehr, weil die Spielregeln immer weiter verschärft werden und man ganz schnell gesperrt werden kann. Also nicht wirklich toll. Es gibt ja einige sehr spezifische Seiten, die sich eher an SM-Leute wenden, wie etwa die Sklavenzentrale oder das internationale Forum Fetlife.
Wenn du ein Bondage-Stück als Kunstwerk gestalten könntest – wie würde es aussehen?
Das brauche ich nicht, denn unsere über 1000 Shows waren immer auch Performance-Kunst

Gibt es Musik oder Rituale, die du bei deinen Sessions besonders magst?
Die Musik muss zu Session passen, daher haben wir einen sehr romantischen Soundtrack, der das, was wir auf der Bühne zeigen, gut untermalt.
Was war bisher dein schönstes Erlebnis in einem Workshop oder Shooting?
Ach, es gab so viele schöne Erlebnisse. Da kann ich mich nicht entscheiden. Schön ist es immer, wenn die Leute bei einem Workshop ihr Gegenüber nicht nur als Objekt sehen, sondern mit kleinen Gesten auch zeigen, dass sie genau diese Person beim Fesseln meinen.
Und zum Schluss: Was würdest du jemandem sagen, der neugierig ist, aber sich (noch) nicht traut, das Thema auszuprobieren?
Informiere dich erstmal, zum Beispiel mit meinen Büchern. Das kann eine Entscheidungshilfe sein oder gehe zu einem Stammtisch, wo du feststellen wirst, dass das alles ganz normale Leute sind.
Vielen Dank Matthias für deine Zeit und das Gespräch!
Übrigens: Im Rahmen der Passion-Messe gibt Matthias zusammen mit Ropecat Prima am Freitag, den 7. November um 19:00 ihre Abschiedsshow.
Hier findet ihr unser Interview zur Passion 2025 in Hamburg.